Der Goldpreis steigt und steigt. Schuld daran sei der Goldhunger in Asien und besonders der in Indien. Wenn in Indien die „Festival Season“ im Oktober und November ihren Höhepunkt erreicht, erklimmt der Goldpreis regelmäßig eine neue Rekordmarke. Woher kommt die Liebe der Inder zum Gold und welche Auswirkungen hat der „Goldrausch“ auf die indische Wirtschaft?
Indiens Liebe zum Gold beunruhigt die Währungshüter
Gold ist wunderschön und wertvoll, aber nicht immer ökonomisch sinnvoll. Wer sein Geld in Gold investiert, will es in Sicherheit bringen. Offenbar wollen viele Inder viel Geld in einen sicheren Hafen lenken. In den beiden indischen Wirtschaftsjahren 2011/12 und 2012/13 flossen über 100 Milliarden US-Dollar aus Indien ab, um dafür Gold einzukaufen. Finanzminister Chidambaram konnte unter diesen Umständen nur hilflos beobachten, wie die gesamtindische Wirtschaft ein riesiges Fremdwährungsdefizit aufbaute, während es ein Viertel bis ein Drittel des weltweit gehandelten Goldes aufkaufte. Wie sollten die Dollars für das Gold, das in der Schweiz und in Dubai gekauft worden war, zurückkommen? Nur ein kleiner Teil des Goldes wird in der Schmuckindustrie weiterverarbeitet und wieder exportiert.
Seit dem Haushaltsjahr 2010/11 nahm Gold bei Indiens Gesamtimporten regelmäßig einen Anteil von mehr als 10 % ein. In den ersten Monaten des indischen Wirtschaftsjahres 2013/14 stieg diese Quote sogar auf 13,44 % und Indien begann mit regulierenden Maßnahmen. Gold ist volkswirtschaftlich gesehen ein teurer, unproduktiver Unfug, der die Handelsbilanz verdirbt.
2013 wurde der Importzoll von Gold von 6 % auf 10 % angehoben. Das sollte den Kauf von Gold unattraktiver machen und den staatlichen Anteil erhöhen. Professionelle Goldimporteure mussten zudem garantieren, dass 20 % des eingeführten Goldes nach der Weiterverarbeitung das Land als Re-Exporte wieder verlassen. Die Maßnahmen waren nicht sehr populär, zum einen belebte sich augenblicklich der Goldschmuggel, zum anderen wichen die Edelmetallkäufer auf das noch verfügbare Silber aus, dessen Verkaufsvolumen sich verdoppelte.
Goldminen in Indien
Was in Indien selbst an Gold gewonnen wird, deckt bei weitem nicht den Eigenbedarf. Derzeit sind nur vier unterirdische Goldminen in Karnataka und Jharkhand in Betrieb. Sie produzieren rund 2,5 Tonnen Gold im Jahr. Bei Indiens aktuellem Bedarf von ca. 800 Tonnen scheint das nur eine Randnotiz wert zu sein. Kleinere neue Vorkommen wurden laut dem Jahresbericht des Ministry of Mines in Rajasthan und Karnataka entdeckt. Finanzminister Chidambaram setzt trotzdem auf das heimische Gold. Mit sogenannten PPP (Public Private Partnerships) könnten bis zu 40 aussichtsreiche Minen erschlossen werden. Bis 2025 könnte Indien dann bis zu 100 Tonnen Gold im eigenen Land fördern.
Herodots Ameisen
Schon die Menschen der Induskultur kannten das gelbe Edelmetall und bezogen es wohl aus dem südlichen Indien. In der Antike galt Indien bereits als märchenhaft reich. Die Perser bezogen aus ihren indischen Satrapien erhebliche Steuermittel. Der griechische Historiker Herodot, der auch über Indien und sein Gold berichtete, hatte sich von ein paar Persern wohl einen Bären aufbinden lassen. Er berichtete von der Stadt Kaspatyros, die dem Lande Paktya benachbart wäre. Das Gebiet sollte das nördlichste von Inder bewohnte Land darstellen. Dort in einer sehr heißen Wüste würden Ameisen leben, die kleiner als Hunde, aber größer als Füchse wären und die goldhaltigen Sand zu Tage förderten. Zur rechten Stunde und mit Hilfe von schnellen Kamelen könne man dann den Sand einsammeln und fliehen, bevor man von den mordlustigen Ameisen eingeholt würde.
Die wertvollste Goldmünze der Großmoguln war der Gold-Mohar. Sein Gegenwert entsprach, laut dem Hofchronisten Abul Fazl, in etwa der Getreideernte von zwei Morgen Land. Das Wirtschaftsleben Indiens basierte aber im größten Teil seiner Historie auf der Silberrupie.
Kunsthandwerk inbegriffen
Der Preis für Schmuckgold richtet sich in Indien in erster Linie nach dem Gewicht. Die kunsthandwerkliche Verarbeitung wird vorausgesetzt und spielt bei der Preisgestaltung nur eine untergeordnete Rolle. Der ornamentale indische Schmuckstil wirkt vielen Europäern zu verspielt, dafür halten Inder unser Schmuckdesign oft für langweilig.
Indisches Gold ist goldener
Aufmerksamen Menschen fällt sofort auf, dass indisches Gold eine sattgoldene Farbe besitzt. In Deutschland wird eher ein blasses Gold bevorzugt, das einen höheren Silberanteil enthält. Dadurch wirkt es heller. Das fällt besonders auf, wenn man Gold aus Deutschland und Indien kombinieren will. Ein Hauch von Kupfer verleiht dem indischen Gold seinen honigfarbenen Teint.
Indisches Tempelgold
In indischen Tempeln verbergen sich reiche Schätze. In einigen traditionellen Hindu-Tempeln werden seit Jahrhunderten die Opfergaben der Gläubigen gehortet. Dazu gehört auch der auf 15 Milliarden Euro geschätzte Tempelschatz, der 2011 in Kerala im Sri Padmanabhaswamy Tempel gefunden wurde. Als dieser Reichtum öffentlich wurde, stellten sich plötzlich akute Sicherheitsfragen. Auch der Besitzanspruch auf so einen großen Schatz musste erst einmal geklärt werden. Der Staat hatte den Tempel gerade aus den Händen der ehemaligen Herrscherfamilie von Travancore übernommen, da diese nicht mehr in der Lage war, den Tempel zu unterhalten. Gläubige Hindus drohten mit Massenselbstmord, wenn sich der säkulare indische Staat das Gold unter den Nagel reißen würde.
Die Begehrlichkeiten stiegen, als eine indienweite Schätzung ergab, dass in indischen Tempeln 2.000 Tonnen Gold im Werte von rund 63 Milliarden Euro aufbewahrt würden. Findige Politiker schlugen vor, damit die Löcher im Staatshaushalt zu stopfen.
Besondere Aufregung erfuhr die Öffentlichkeit, nachdem der indische Heilige Guru Shobhan Sarkar aus Uttar Pradesh weissagte, dass unter den Ruinen des Schlosses von Raja Rao Ram Bux Singh ein Schatz von 1.000 Tonnen Gold versteckt sei. Im Traum habe der Guru seinen Aufenthaltsort gesehen und der Staat könne mit dem Gold seine Wirtschaft retten. Der Traum des Heiligen löste ein regelrechtes Schatzfieber aus. Gefunden wurde das Gold leider nicht.
Als Indiens Staatsschatz nach England flog
Indien ist stolz darauf, seine Währung niemals abgewertet zu haben, auch wenn seine Wirtschaft bis 1991 eine sehr schleppende Entwicklung nahm. Im Jahr 1991 stand Indien kurz vor der Zahlungsunfähigkeit. Um neue kurzfristige Kredite von der Weltbank zu bekommen, musste es seine kompletten Goldreserven als Sicherheit hinterlegen. Das indische Gold wurde in Flugzeuge verfrachtet und nach England (47 Tonnen) und die Schweiz (20 Tonnen) geflogen. Es folgte eine öffentliche Empörung, die einem nationalen Weckruf gleichkam. Der wirtschaftliche Tiefpunkt wurde zum Ausgangspunkt für die indischen Wirtschaftsreformen. Nach 1991 öffnete Indien seinen Markt und führte tiefgreifende Strukturreformen durch, die eine wirtschaftliche Wende zum Besseren einleiteten. Die Schmach, seinen Staatsschatz ausgeliefert zu haben, hat sich tief in das Bewusstsein der indischen Wirtschaftslenker eingebrannt und Indien seitdem auf dem Pfad der kontinuierlichen Reformen und Weiterentwicklung der Wirtschaft gehalten.
Indiens Wirtschaft ist abhängig vom Gold
Das emotionalste aller Edelmetalle hat einen reellen Einfluss auf die indische Wirtschaft. Gold ist Kultur- und Wirtschaftsgut zugleich. Indien kauft nach volkswirtschaftlichen Kriterien irrational viel Gold, nur ist die indische Bevölkerung in diesem Punkt nicht rational, denn Gold ist in Indien eben ein ganz besonderes Produkt. Zur Hochzeitssaison und zu Diwali schnellen die Goldkäufe in die Höhe und wirken sich dann mit einem enormen Einfluss auf die Gesamtwirtschaft aus. Einen ähnlich großen Einfluss hat bestenfalls noch der Monsun, der darüber entscheidet, ob es eine gute oder magere Ernte geben wird. Bis vor einigen Jahren konnte man die Monsunschwankungen noch an der Wirtschaftsleistung Indiens ablesen. Heute versucht der indische Staat mir Zöllen und anderen Zwangsmittel den indischen Goldhunger zu regulieren.
Gold als traditionelle Form der Geldanlage
Gold diente wegen seines hohen Wertes und der Möglichkeit, es leicht mitnehmen zu können, schon immer als Anlagemöglichkeit. Zudem konnte es zu Schmuck verarbeitet werden und so immer sicher und nahe am Körper verwahrt werden. Noch heute ist Schmuck oft Bestandteil der Aussteuer einer indischen Braut. Gold als sichere Geldanlage ist so sehr im Bewusstsein der Inder verankert, dass sie Gold kaufen, auch wenn es ökonomisch kaum noch sinnvoll ist. Jeden Tag werden in Indien mehr als zwei Tonnen Gold gekauft. Das macht Indien zum größten Goldkonsumenten der Welt und hat den Staat in ernste währungspolitische Schwierigkeiten gebracht. Trotzdem trauen die Inder dem Gold mehr als jeder anderen Anlage.
Angesichts der hohen Inflation, die wieder die 10%-Marke überschritten hat, aber gefühlt noch viel höher ist, weil die Lebensmittelpreise sich noch viel stärker verteuert haben, suchen die Inder Sicherheit. Wer etwas zu verlieren hat, legt es in Gold an, auch wenn Gold im Prinzip unproduktiv ist. In einer Gesellschaft, die Jahrhunderte mit der Unsicherheit zu kämpfen hatte, ist das ein nachvollziehbarer Reflex. Sven Andreßen