Müde von der Reise erreichen wir im Morgengrauen unsere Unterkunft in Sreekandamangalam im Südwesten Indiens. Ein angenehm warmes Lüftchen umschmeichelt die Haut. Die fremden Laute exotischer Vögel erfüllen die Luft und von der nahen Kirche wehen die Choräle der Klosterschüler herüber. Leela, die Hausherrin, und einige ihrer Mitarbeiter warten schon am Eingang mit einem wohltuenden Masala-Chai auf uns. Angekommen! Hier fühlt man sich gleich wie zu Hause.
Kerala – Gottes eigenes Land
Im südindischen Bundesstaat Kerala, der in Indien liebevoll „God’s Own Country“ genannt wird, geht es ein wenig gelassener zu als im geschäftigen Norden. Das Bildungsniveau ist hoch, es gibt weniger als 5 % Analphabeten. Die Keralesen sind auch im Ausland beliebte Arbeitskräfte und der Wohlstand, den sie von ihren Auslandsaufenthalten mitbringen, ist deutlich an den Familienhäusern abzulesen, die ein bisschen größer und ein bisschen schicker sind als z. B. im benachbarten Tamil Nadu.
Verschiedene Glaubensrichtungen existieren in Kerala seit Jahrhunderten friedlich nebeneinander. Laut der letzten Volkszählung im Jahr 2011 sind knapp 55 % Hindus, fast 27 % Moslems und der Anteil an Christen ist mit über 18 % deutlich höher als im landesweiten Durchschnitt.
Keralas palmengesäumte Sandstrände ziehen sich etwa 600 Kilometer entlang der Malabar-Küste am Arabischen Meer – Namen, die allein schon zum Träumen anregen. Das Klima ist tropisch mit Temperaturen, die ganzjährig um die 30 °C liegen. Im Hinterland steigen die dicht bewaldeten Westghats bis auf 1.500 Meter Höhe. Sie bilden eine natürliche Barriere für die Monsunwolken, die dem Land von Anfang Juni bis Ende September ergiebige Regenfälle bescheren.
Eine Oase für die Seele
Nach ein paar Stunden Schlaf – frisch geduscht und gestärkt durch ein leichtes Frühstück aus Obst, frischen Kokosraspeln, Porridge, selbstgebackenem Brot, Butter und Marmelade – zeigt uns Theresa, die Tochter der Gastgeber, das Gelände von BASIS Village. Die Wohnhäuser mit ihren unterschiedlichen Raumkonzepten sind alle im traditionellen keralesischen Stil in einer Kombination aus Holz und tonhaltigem, rötlichem Stein erbaut, teilweise aus Bauelementen, die über 150 Jahre alt sind. Durch die traditionelle Bauweise mit Ziegeldächern, die mit Palmblättern bedeckt sind und Zuglöcher aufweisen, die die Luft zirkulieren lassen, kann auf Klimaanlagen verzichtet werden. An besonders heißen Tagen sorgt ein Deckenventilator für Erfrischung.
Das Gelände der Anlage ist weitläufig. Es gibt viel zu entdecken und jede Menge Rückzugsorte. Sogar Bioanbau wird hier betrieben. Mathew, der Hausherr, ist Doktor der Agrarwissenschaften. Er hat in Deutschland studiert und viele Jahre an der Universität in Gießen gearbeitet. Seine Erfahrungen und sein Wissen über nachhaltige Landwirtschaft teilt er mit den Menschen seiner Gemeinde. Erst kürzlich wurde er von seiner Großgemeinde als Biobauer des Jahres ausgezeichnet und selbst seine Universität in Gießen ehrte ihn 2014 für seine Arbeit im BASIS und seine Verdienste um die deutsch-indische Zusammenarbeit mit einem Doktortitel.
Wir spazieren an Bananenstauden, Papaya-Bäumen und Kokospalmen vorbei. Hier und da ranken sich Pfefferpflanzen die Bäume hinauf. Beiläufig pflückt Theresa einige Blätter von einem Tulsi-Strauch, die vielfach im Ayurveda Anwendung finden und z. B. gut für den Magen-Darm-Trakt und bei Erkältungen sein sollen. Sie schmecken nicht schlecht. Auf einem kleinen Feld wachsen verschiedene Gemüsesorten und Knollenfrüchte wie Ingwer oder Kurkuma für den Eigenbedarf. Im offenen Gewächshaus werden Kräuter für die Küche und junge Pflanzen großgezogen. Sogar ein Fischteich befindet sich auf dem hinteren Teil des Geländes, dahinter liegt ein schmaler Arm der Backwaters. Eigene Ziegen, Schweine, Hühner und Kühe, sorgen für frische Eier und Milch und gelegentlich auch für Fleischmahlzeiten, gleichzeitig sind die Tiere gute Resteverwerter.
Seit fast 25 Jahren sind Leela und Mathew Moozhiyil, die Seele dieses Gästehauses, nun wieder in ihrer Heimat Kerala. 20 Jahre lang haben die beiden in Deutschland gelebt und gearbeitet. Leela war 17, als sie in Deutschland eine Ausbildung zur Krankenschwester absolvierte. Die Verbindungen nach Deutschland sind nie abgerissen, denn die beiden wollten nach ihrer Rückkehr eine Brücke zwischen Deutschland und Indien bauen. Das ist ihnen, wenn auch im Kleinen, ganz sicher gelungen. In ihrer Familie sprechen alle ausgezeichnet Deutsch. Gerade für Reisende, die zum ersten Mal in Indien sind oder die den gewöhnungsbedürftigen Akzent im Englisch der Einheimischen nicht gut verstehen, ist Familie Moozhiyil ein hervorragender Anlaufpunkt für alle Fragen zu Land, Leuten und Kultur. Auch um die eigene Gesundheit muss man sich hier keine Gedanken machen. Als gut geschulte Krankenschwester weiß Leela bei jedem Wehwehchen und Unwohlsein Rat – sei es mit guten alten ayurvedischen Mitteln – denn im BASIS Village wird auch Ayurveda angeboten – oder, wenn es sein muss, mit konventioneller Medizin. Angst vor Durchfall, eine der größten Sorgen vieler Indienreisenden, muss man bei der guten Küche im BASIS ohnehin nicht haben.
Sternreise – Ausflüge mit fester Basis
Drei Standorte hat sich Familie Moozhiyil seit ihrer Rückkehr nach Kerala aufgebaut: BASIS Village, BASIS Beach (ohne Übernachtungsmöglichkeit) und BASIS Mountain, das nagelneue Gästehaus in den Westghats, das vor allem als Seminar- und Begegnungsstätte konzipiert ist. Von diesen Basisorten aus lassen sich die Sehenswürdigkeiten der Region gut erkunden. Sternreise nennt sich das Programm, denn man reist nicht rund, sondern sternförmig.
Tempel- und Kirchenbesuche, ein Ausflug in die Berge, zu den weiten Teeplantagen und Gewürzfarmen, in den Periyar Nationalpark oder den Nachbarstaat Tamil Nadu und natürlich Shopping stehen zur Auswahl. Auf den ersten Blick das ganz normale Touristenprogramm. Doch irgendwie sind wir hier näher dran, tauchen tiefer ein in das Leben der Einheimischen. Denn während die Führerin in der Teefabrik professionell die Vorzüge ihres Tees und die guten Arbeitsbedingungen für die Arbeiter erläutert, liefert Leela Hintergrundwissen. Acht Stunden Arbeit für 38 indische Rupien (ca. 0,52 EUR) pro Stunde plus eine Stunde Pause ist die offizielle Version. Vier zusätzliche Überstunden dürfen die Arbeiter machen, ergänzt Leela, und das machen die meisten – dann aber ohne Pause. Sonst reicht der Verdienst einfach nicht.
Beim Besuch auf einem typischen Markt im Nachbarstaat Tamil Nadu drückt uns Mathew vorher Stofftaschen in die Hand. „Erst kauft ihr etwas, dann fragt ihr, ob ihr fotografieren dürft, und erst dann könnt ihr Fotos machen.“ Respekt ist das Zauberwort – und den bringen die Moozhiyils ausnahmslos jedem entgegen. In Indien ist das durchaus keine Selbstverständlichkeit.
Ein Ruhetag am Strand
Nach den vielen Eindrücken der letzten Tage legen wir einen Regenerationstag am Strand ein. BASIS Beach ist nur ein kleiner Privatstrand. Aber außer den ortsansässigen Fischern, die ihre Boote einholen, ist an diesem endlosen Sandstrand sonst niemand unterwegs. In der Hängematte genießen wir die Ruhe. Das Meer ist angenehm warm und die Nachbarin hat leckeres Essen für uns gekocht.
Minnie, eine BASIS-Angestellte, ist auch mitgekommen und wagt sich das erste Mal in ihrem Leben ins Meer. Ob sie schwimmen lernen möchte, frage ich sie. Sie sagt ja, obwohl ihr Wellen und Meer offensichtlich gehörigen Respekt einjagen. Und dann üben wir etwa eine halbe Stunde lang. Am Ende schafft sie es, zwei bis drei Züge allein, ohne meine unterstützende Hand, zu schwimmen. Für den Freischwimmer reicht es noch nicht. Aber Minnie hat endlich verstanden, wie Schwimmen wirklich funktioniert. Fortan nennt sie mich nur noch „my teacher“ und wird mich wohl nicht mehr so leicht vergessen. Auch für mich war das eine befriedigende Erfahrung. Und genau diese Begegnungen mit liebenswerten Menschen haben diese Reise für mich zu etwas Besonderem gemacht.
Autorin: Traudl Kupfer
Weitere Informationen
Hin und zurück: Zum Beispiel mit Air Berlin bis Abu Dhabi und ab dort mit Jet Airways nach Kochi; Kosten für den Hin- und Rückflug ab 650 EUR. Oder von Frankfurt/Main aus mit Qatar Airways über Doha (etwa die gleichen Kosten wie von Berlin aus).
Von Kochi sind es noch 80 km bis Sreekandamangalam (in der Nähe von Kottayam). Kleine Gruppen werden vom BASIS Team am Flughafen abgeholt.
Unterkunft: BASIS Village (oder BASIS Mountain) ist von Ende Juli bis April geöffnet. Preisbeispiel pro Person für eine Sternreise vom 05.02. – 17.02.2017: 1390 Euro.
CO2-Kompensation: Eine Reise nach Indien belastet den eigenen CO2-Fußabdruck doch erheblich. Wer für eine Flugreise eine kleine Ausgleichszahlung leistet, verhindert zwar nicht den Ausstoß von klimaschädlichen Gasen, finanziert damit aber an anderer Stelle Maßnahmen für den Klimaschutz. Weitere Infos z. B. unter www.berlin.de (PDF zum Download).