Kannagi Nagar, Foto: Rainer Schoder

Kannagi Nagar – Graffiti in Chennai

Im Frühjahr 2022 wurde die „Dritte Ausgabe“ des Kunst-Projekts KANNAGI NAGAR in Sholinganallur, einem südlichen Stadtteil von Chennai, eingeweiht.
Als Hauptbestandteil dieses Projektes wurden zahlreiche Außenwände – vor allem die Stirnseiten der langestreckten Gebäude – der Mietskasernen des Stadtviertels mit riesigen Graffitis bemalt.

Die „Chennai Corporation“ und das „Tamil Nadu Urban Habitat Development Board“ (TNUHDB) führen das Projekt seit 2020 gemeinsam mit St + Art India und Asian Paints durch. Der Bürgermeister, R. Priya, hat eine Karte der Mietskasernen veröffentlicht, die in diesem Jahr bemalt werden sollen, bzw. mittlerweile bemalt worden sind (mittlerweile ist das die dritte Phase des Projektes). Leider ist es uns nicht gelungen an diese Karte zu kommen.

Kannagi Nagar, Foto: Rainer Schoder
Kannagi Nagar, Foto: Rainer Schoder

Kannagi Nagar ist eine der größten Umsiedlungskolonien der Stadt Chennai. Nach dem Tsunami von 2004 waren Fischerfamilien, die vorher entlang der Küste in verschiedenen Teilen der Stadt lebten, mehr oder weniger gezwungen hierher zu ziehen. Um diese „Kolonie“, mit 23.700 Haushalten, aufzuwerten und den „Slum-Charakter“ zu mildern, ihm entgegen zu wirken, wurde sie nun zum Kunstviertel erklärt.

In der ersten Phase malten 15 (4 inter-nationale und 11 indische Künstler*innen aus Indien an den Großformaten, auch das Goethe Institut in Chennai (Max Müller Bhavan) war mit einem Sonderprojekt daran beteiligt.
Trotz der Kunstviertel-Ambitionen – so unser Eindruck – der Graffit-Verschönerungsarbeiten, wirkt das Ganze mehr wie ein „Facelifting, das zwar das Viertel attraktiver macht (sonst wären wir ja nicht hier), aber die eigentlichen Probleme nicht beheben kann:
In einigen Häusern gibt es noch keine Wasserhähne, niemand fühlt sich zuständig.

Kannagi Nagar, Foto: Rainer Schoder
Kannagi Nagar, Foto: Rainer Schoder

Die Wasserversorgungs-Pipeline müsste erneuert werden. Es gibt Lecks in den Wasser-und Abwasserleitungen. Eine Sanierung ist zwar zugesagt, aber wann wird sie erfolgen?!?
Wasser gibt es offenbar nur stundenweise. „Es ist dann, wenn es kommt, braun und mit Abwasser gemischt“ lesen wir in einem Interview mit einem Bewohner.
Einige der Mietskasernen sind offenbar baufällig, auf jeden Fall machen einige Gebäude auf uns diesen Eindruck.

Noch ein Problem:

Kannagi Nagar gilt als Hotspot für Verbrechen in Chennai – wir haben Glück, an unseren beiden Besuchstagen, tagsüber, ist davon nichts zu merken. Im Gegenteil, die Bewohner – allzu viele sind es nicht, die meisten wohl „auf Arbeit“ – sind freundlich, lächeln. Niemand bettelt uns an.
Laut der Medien konzentrieren sich hier, wahrscheinlich erst nach Anbruch der Nacht, sexueller Missbrauch, frühe Verheiratung, Abtreibung, Alkohol und Drogenmissbrauch. Also das volle Programm. Wir, Touristen, erleben davon nichts, haben uns aber auch nicht in die langen, finsteren Mittelflure der Mietskasernen hinein getraut. Wozu auch, wir sind wegen der vielen, großartigen Graffitis gekommen.
Hier einige Beispiele der von uns besuchten Werke:

Kannagi Nagar, Foto: Rainer Schoder
Kannagi Nagar, Foto: Rainer Schoder

In dem Bild von Kashmira Sarode sieht man ein Mutter-Tochter-Duo, das mitten im Meer steht und trotz seiner Notlage den Kräften des Wassers standhält. Um die beiden herum blüht eine riesige Blume, die ein Symbol der Hoffnung auf eine bessere Welt darstellen soll. Auch in vielen anderen Wandbildern wird das Meer als gewaltige Lebenskraft inszeniert, die es im Sinne einer nachhaltigen Zukunft zu schützen gilt. In einer Stadt, die einen traumatisierenden Tsunami miterlebt hat und mit einem stetig steigenden Meeresspiegel zu kämpfen hat, ist dieser Gedanke sehr wichtig. Als visuelle Zeugen der Last, die Kannagi Nagar zu tragen hat, ermöglichen diese Wandgemälde es den Betrachtenden, solche lokalen Vorkommnisse mit weltweit stattfindenden urbanen Szenarien in Verbindung zu bringen.

Der spanische Künstler Antonyo Marest schuf „The New Door“ – gekennzeichnet durch helle Farben und lebendige geometrische Muster – und soll seinen Wunsch, der Gemeinschaft eine bessere Zukunft zu ermöglichen, veranschaulichen. Die Fassade ist mit den Worten „Allegra“ gekennzeichnet, was „Freude“ bedeutet (und auch der Name von Marests Tochter ist), also der Versuch des Künstlers eine positive Stimmung in Kannagi Nagar zu verbreiten.

Kannagi Nagar, Foto: Rainer Schoder
Kannagi Nagar, Foto: Rainer Schoder

Das fast monochrome Wandbild von „A-Kill Thought“ zeigt ein hyperreales Porträt zweier lächelnder Mädchen, die uns mit einem breiten Lächeln von der riesigen Fassade anstarren, die noch einen Kilometer entfernt, von der Hauptstraße aus, gut sichtbar ist.
Kinder, ja, da gibt es jede Menge. Die Zukunft des Viertels hängt von ihren Bildungschancen ab.

Kannagi Nagar, Foto: Rainer Schoder
Kannagi Nagar, Foto: Rainer Schoder

Die Kraft der Frauen, das ist das Markenzeichen der Künstlerin „Osheen Siva’s Protectors & Providers“ aus Delhi. Ein Graffiti -Werk einer starken Frau, die einen traditionellen Sari trägt und eine Kristallkugel hält, die das ganze Universum erfassen soll. In Tamil, oben, das Wort காப்பாளர், was in Englisch „Protector“ bedeutet. Unten das Wort வழங்குநர் bedeutet “ Providers “ (Anbieter). Die Zukunft liegt in den Händen starker Frauen, so könnte man das Werk vielleicht deuten.

CHENNAI, ehemals MADRAS

Hauptstadt und wichtigste Stadt des südindischen Bundesstaates Tamil Nadu. Eine lose Ansammlung von Fischerdörfern an der Koromandelküste hat sich mit der Schaffung eines zentralen Handelsplatzes durch die britische East India Company zur Metropole Südindiens entwickelt.

Francis Day und Andrew Cogan waren die Vertreter dieser Company, deren Macht mit der Fertigstellung der Festung „Fort St. George“am 23. April 1640 manifestiert wurde. Die im 16. Jahrhundert durch die Portugiesen gegründete Siedlung „St. Thomas“ – der Apostel Thomas soll hier den Märtyrertod gestorben sein – wurde bald als Stadtteil Mylapore „eingemeindet“.

Momentan wird an der Verlängerung der Metro, einer Art Hochbahn, vom Zentrum Chennais bis nach Mylapore gearbeitet. Die Umbenennung des Namens der Stadt, von Madras zu Chennai, erfolgte im Rahmen der Dekolonisierung im Laufe der 90iger Jahre des letzten Jahrhunderts. Die Verballhornung indischer Städtenamen durch die Briten wurde in dieser Zeit rückgängig gemacht. Das bekannteste Beispiel ist wohl Bombay, heute Mumbai.

Einige Kilometer südlich von Mylapore liegt das „Mietskasernenviertel“ – von Indern der Mittelschicht als „Slumviertel“ bezeichnet – Kannagi Nagar, in den 90iger Jahren noch dörflich, mit Reisfeldern, heute ein komplett zugebauter Stadtteil von Chennai.

Christiane Chevallier-Schoder und Rainer Schoder, Januar 2023

Kannagi Nagar, Foto: Rainer Schoder
Kannagi Nagar, Foto: Rainer Schoder

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