Laut dem jüngsten UN-Bericht „8 Milliarden Menschen, unendliche Möglichkeiten“ hat Indien China als bevölkerungsreichstes Land der Welt überholt. Ein bemerkenswerter Wendepunkt, wenn man bedenkt, dass China in den letzten sechs Jahrzehnten eine konstante Bevölkerungszunahme verzeichnete. Die demografische Verschiebung hat weitreichende Auswirkungen, nicht nur für Indien selbst, sondern auch für die globale geopolitische Landschaft.
Demografische Dividende oder Krise?
Vor zwei Jahrzehnten hätte diese Nachricht in Indien Befürchtungen einer “Bevölkerungsexplosion” ausgelöst. Die Angst, dass eine unkontrollierte Bevölkerungszunahme die wirtschaftliche Entwicklung des Landes hemmen könnte, war bis Anfang der 2000er Jahre weit verbreitet. Doch heute sieht das Bild anders aus. Mit einer jungen und wachsenden Bevölkerung wird Indien als Motor für wirtschaftliche Entwicklung und Innovation gesehen.
Historischer Kontext: Bevölkerungskontrolle und Wirtschaftswachstum
In den 1960er Jahren versuchte Indien, die Geburtenrate durch rigorose Maßnahmen zu kontrollieren. Doch mit der Öffnung der Wirtschaft für den Privatsektor in den 1980er und 1990er Jahren erlebte das Land ein rasantes Wirtschaftswachstum. Die demografische Dividende, die durch eine junge und arbeitsfähige Bevölkerung erzielt wurde, trug maßgeblich zu diesem Wachstum bei.
Binnenmigration und soziale Spannungen
Ein weiteres Phänomen, das durch die demografische Verschiebung hervorgerufen wird, ist die Binnenmigration. Während Bundesstaaten wie Bihar und Uttar Pradesh weiterhin ein hohes Bevölkerungswachstum verzeichnen, erleben andere, insbesondere im Süden, einen Bevölkerungsrückgang. Diese Verschiebung hat zu sozialen und politischen Spannungen geführt, insbesondere in Bezug auf Arbeitsmigration und kulturelle Unterschiede.
Die Rolle der Frauen in der Arbeitswelt
Trotz des demografischen Vorteils hat Indien immer noch eine der niedrigsten weiblichen Erwerbsquoten in Südasien. Dies stellt nicht nur einen Verlust an Humankapital dar, sondern beeinträchtigt auch das Wirtschaftswachstum des Landes. Es ist unerlässlich, dass die indische Regierung und die Wirtschaft Maßnahmen ergreifen, um Frauen stärker in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
Schlussfolgerung
Indiens demografische Dividende bietet sowohl Chancen als auch Herausforderungen. Während das Land von einer jungen und wachsenden Bevölkerung profitiert, muss es auch mit sozialen Spannungen, Binnenmigration und der Unterrepräsentation von Frauen in der Arbeitswelt umgehen. Es bleibt abzuwarten, wie Indien diese Herausforderungen in den kommenden Jahren bewältigen wird.
Dieser Artikel basiert auf dem Bericht “Das bevölkerungsreichste Land der Welt – Fluch oder Segen?” der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. aus dem August 2023.