Foto: Nina Subin

Der europäische Kolonialismus in Asien aus der Sicht der Opfer

Der Buchpreis der Leipziger Buchmesse für die europäische Völkerverständigung 2014 ging an Pankaj Mishra. Der in Jhansi geborene Autor öffnet in seinem populärwissenschaftlichen Buch „Aus den Ruinen des Empires: Die Revolte gegen den Westen und der Wiederaufstieg Asiens“ die Augen des Lesers für die bisher für sprachlos gehaltenen Bewohner Asiens im Zeitalter des Kolonialismus.

Was für uns Kinder der Aufklärung, der Moderne und des Nationalstaats für selbstverständlich gehalten wird, hinterfragen drei ausgewählte intellektuelle asiatische Zeitzeugen des Kolonialismus. Mishra lässt den Muslim Al Afghani, den Inder Rabindranath Tagore und den Chinesen Liang Qichaos zu Wort kommen. Wie reagierten die Menschen in China, Indien, Japan, Persien, Ägypten und dem Osmanischen Reich, die alle auf Jahrtausende alte Zivilisationen zurückblicken konnten, auf die Herausforderungen des neuzeitlichen Europas? Die europäische Geschichtsschreibung würdigt zwar das Kolonialzeitalter als solches, kennt aber fast nur die eigene Perspektive. Kaum ein Zeitalter wird mit einem größeren Eurozentrismus betrachtet als gerade diese. Die Voraussetzungen des Kolonialismus nämlich die „Errungenschaften“ der Aufklärung, die Geburt der Nationalstaaten, die Moderne, die Entwicklungen in Wirtschaft und Wissenschaft und die westlich-demokratischen Gesellschaftsordnungen gelten als gesetzt und werden bei uns kaum jemals hinterfragt. Mishra zeigt mit seinen drei Zeitzeugen, dass unsere gesellschaftlichen Fundamente keineswegs selbstverständlich sind und je nach Betrachtungsweise ethisch-moralische, religiös-gesellschaftliche und gar menschliche Mängel aufweisen.

Aus der organisatorischen und militärischen Überlegenheit des modernen Westens gegenüber Asien entwickelte sich im Laufe des 19. Jahrhunderts eine Arroganz, die Kipling die „Bürde der Weißen Rasse“ nannte. Die Möglichkeit, andere Weltgegenden auszubeuten und unterdrücken zu können, wurde schamlos ausgenutzt und durch eben jene Errungenschaften der Moderne und der Aufklärung als moralisch rechts erklärt. Die unreflektierte Überzeugung einer Überlegenheit gegenüber den Asiaten ist bis heute fast ungebrochen im Unterbewusstsein der Europäer und Amerikaner verankert.

Pankaj Mishra findet im Sieg Japans über das zaristische Russland 1905 in der Seeschlacht von Tsushima eine historische Zäsur. Zum ersten Mal seit der Demütigung der asiatischen Völker durch die Kolonialisierung werden die „Barbaren“ besiegt. Es war der Beweis, dass die Überlegenheit der Europäer nicht gottgegeben ist. Ein Weckruf ging durch ganz Asien. Mishras Zeitzeugen nahmen diesen Ruf wahr und reflektieren ihn. Sie fragen sich zunächst voller Begeisterung, was Japan richtig gemacht hat, um sich der Herausforderung aus Europa zu stellen. Und sie schwanken in ihren Schlüssen und Forderungen zwischen Nachahmung des Westens, partieller gesellschaftlicher Modernisierung und totaler Verweigerung.

„Aus den Ruinen des Empires: Die Revolte gegen den Westen und der Wiederaufstieg Asiens“ ist ein wertvoller Gedankenanstoß wider den Eurozentrismus und unser nicht hinterfragtes Weltbild. Noch immer stehen Europa und der Westen Phänomenen wie dem Islamismus ratlos gegenüber und man wundert sich bei uns, warum die Heilsbotschaft der Demokratie so schwer zu vermitteln ist. Ein Schritt zur Seite in Raum und Zeit eröffnet hierzu eine erhellende Perspektive – Pankaj Mishra sei Dank! Sven Andreßen

Buchinfo:
„Aus den Ruinen des Empires: Die Revolte gegen den Westen und der Wiederaufstieg Asiens“
von Pankaj Mishra
448 Seiten
Verlag: S. FISCHER
Auflage: 4 (18. Oktober 2013)
ISBN-13: 978-3100488381
Originaltitel: From the Ruins of Empire
Preis: 26,99 Euro (gebundene Ausgabe)

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